Mittwoch, 3. September 2008

Weise Wortgewalt

Heute nur ein Zitat aus der Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche":
wortgewaltig, grandios, weise, trotz eingestreuter Schmonzetten immer wieder (fast) zu dicht geschrieben und doch mindestens einer Lesewiederholung wert:

Hier

Züge eines Komplotts
Von Gertrud Höhler

Frauen sollten nicht mehr die Männer für ihr Leiden verantwortlich machen und sich bequem in ihrer Opferrolle einrichten. Diese Entschuldigungsstrategie muss ein Ende haben, wollen Frauen wirklich etwas bewegen auf der Welt.

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Glenn Close als Anwältin in der TV-Serie «Damages».


Was Frauen können, steht doch gar nicht mehr in Frage. Ob sie liefern, steht in Frage. Ob sie sich entschliessen, den Komfort des unbekannten Wesens gegen diesen neuen Auftritt einzutauschen: die Frau, das bekannte Wesen.

Während die hochgewachsenen Businessfrauen der Spezies Alphatier endlich wieder ein zweites Gesicht zeigen, das weibliche, folgen ihre unentdeckten Schwestern der Versuchung, den Mythos der Schonzeit am Leben zu halten.
Das Leben in der Deckung, so ihr wehmütiges Resümee, hatte viele Vorzüge. Der Mann, das allzu bekannte Wesen, war beruflich wie privat zuverlässig in Schach zu halten, solange die Entscheidung zwischen Schlange und scheuem Reh einfach keinem Mann gelang.

Die Schonzeit erlaubte beides: Anklage und Versteckspiel. Hilfreich war das Desinteresse vieler Männer an der Frage, was die Frauen nun wirklich sind – ausser schwer lesbar. Nur eine Minderheit von Psychologen, Dichtern und Ärzten widmet der Frage, wie Frauen nun wirklich sind, ein Künstler- oder Forscherleben. In der Männerwelt gelten diese Männer als untypisch beschäftigt.

Frauen kultivieren ihren Status als unerkannte Wesen auch als Racheakt: unverstanden und unverstehbar sein, um mangelnde Zuwendung einzuklagen. Wenn die Schonzeit endet, brechen die Jäger auf. Nun verteidigt das aufgeschreckte Wild sein Leben. Seine Chance: feinere Sinne, bessere Witterung, Schnelligkeit.

Die Schonzeit für Frauen wird kein Jäger aufkündigen. Sie gilt, seit der Feminismus in einem trügerischen Friedensschluss neue Tabus setzte, die zumal von Frauen nicht als das erkannt werden, was sie sind: Drohungen und Artenschutzgebote, die den Sonderstatus der Frauen fortschreiben. Schonzeit ohne Ende, paragrafengeschütztes «noli me tangere». Aus zornigen Feministinnen sind geschonte Opfer mit erstklassigen Prozessaussichten geworden. Die männlichen Kollegen sehen einen späten Sieg: So können sie die auf Regelverletzungen lauernde Kollegin schon mit Mitte dreissig loswerden. Wenn sie wirklich mitspielen will, fängt sie es anders an.

Fast alle Debatten, die wir führen, sind längst überflüssig geworden. Ob sie enden, bestimmen aber allein die Frauen. Männer haben ­gelernt, durch versöhnliche Debatten Handeln zu ersetzen. Sie haben gelernt, geduldig darüber zu diskutieren, was Männer Frauen schuldig bleiben. Virtuos umschiffen sie die unbeherrschbaren Themen, bei denen sie als Mitspieler chancenlos sind: Sie gestehen kampflos zu, dass sie bekannte, die Frauen dagegen weitgehend unbekannte Wesen sind.

Die Schonzeit für Frauen hat längst Züge eines Komplotts entwickelt. Männer wie Frauen schwanken, ob man sich das Ende dieses Schwebezustands wünschen soll. Die Männer haben sich schon einmal stärker gefühlt. Warum den Auftritt der Beute früherer Tage als Jägerin gerade jetzt zulassen?

Und die Frauen zählen einander ihre Vorteile auf, die kein Mann erfahren darf. Solange die Frau ein Rätsel bleibt, wird der Mann leise auftreten. Solange sie als potenzielle Anklägerin in der Deckung bleibt, schlägt sein Gewissen, ohne dass er sich wehren könnte: Was genau wirft sie ihm vor? Dass sie nicht mitspielen darf? Dass er nicht zuhört? Dass er seine Arbeit liebt? Dass er keine Selbstzweifel hat? Ihre Macht besteht aus lauter Unterlegenheitsritualen. Er weiss, dass die Spielregel ihm verbietet, von ihrer Macht zu sprechen.

Dieses Spiel muss enden. Wir müssen endlich entscheiden, dass Frauen ihre Macht nicht mehr mit Versteckspielen vergeuden sollten. Die Zähmung der Männer, die manche Frau in der neuen Sanftmut mutloser männlicher Partner lesen möchte, hat nicht stattgefunden. Die Verweigerung der Frauen vor den endlich erreichten endlosen Möglichkeiten, dabei zu sein, Einfluss zu nehmen, mitzuspielen, Alphatiere nach vorn zu schicken, um auch die Männer wieder zu ermutigen, ist der ernste Befund. Und vor allem: Die Konsequenz aus diesem Verweigerungsszenario ist eben nicht die Aufforderung an die Männer, die Frauen ins Bild zu rücken, sondern der zornige Appell an die Frauen, endlich ihre Kraft dem Ganzen zur Verfügung zu stellen, statt sich im Getto der Schonzeit Sonderkonditionen zu erklagen.

Kultur der Missverständnisse

Alphatiere sind Stellvertreter. Wie die Männer ihre Vorbilder auf den Gipfeln brauchen, um sich selbst das heute Unmögliche zuzutrauen, so brauchen Frauen die Alphagestalten mit weiblichem Gesicht, die ihnen Mut machen. Was schon kleine Jungen wissen – dass sie zu einer mächtigen Spezies gehören –, das ist der neue Alphatext für Frauen: Du gehörst zu den Frauen dieser Welt, ohne die jeder männliche Aufbruch sein Mass verlöre. Du gehörst zu den Frauen, die nicht auf Entdeckung warten, sondern entdecken. Ohne dich und die andern Frauen weltweit werden Männer immer nur auf das angewiesen sein, was Männern einfällt, und das ist höchstens die Hälfte aller möglichen Ideen – wahrscheinlich aber weniger, weil Männer Schlachten wiederholen wollen, in denen sie siegreich waren.
Die Welt nach der Schonzeit ist eine fordernde Welt, nicht nur für Frauen. Es war ja ein Komplott, das beide, Männer und Frauen, mit Spielräumen beschenkte, die beiden gaben, was zu ihnen passte: den Frauen ihr Geheimnis und das männliche Versagen vor ihrer Kultur der Missverständnisse; den Männern die täglichen Freibriefe, den tumben Toren zu spielen, wenn Frauen quer zum System argumentieren, und alle Zwischentöne zu überhören, wenn es um den Tagessieg geht – unter Männern und im gemischten Team.

Beide beherrschen ihre Rollen meisterhaft, aber der Diskurs, den beide aus Erfahrung meiden, wäre ohne Balance. Sie kämpft mit dem Benachteiligungsverdacht, der schon im Kindergarten trainiert wurde, und er möchte vortragen, dass sie nicht fair ist. Beide wissen, dass er sich dabei über ein Tabu hinwegsetzen müsste. Und beide wissen, dass sie dafür sorgen würde, dass ihm das schlecht bekommt. Es gibt kein Entrinnen: Sein Vorwurf ist berechtigt, und ihr Verdacht ist nicht fair.

Wir brauchen einen ganz neuen Anfang, wenn die Rückkehr der Alphafrauen gelingen soll. International hat sie bereits begonnen. Die Frauen haben keine Wahl, ihre Schonräume in den reichen Ländern zu verteidigen. Nun endlich geht es nicht mehr um Warten, Zuschauen, Gefunden- oder Verschmähtwerden, Verhindert- oder Gefördertwerden, es geht um etwas, was die Frauen mit den Sonderkonditionen fast verlernt haben: um Handeln. Nicht mehr Gehandeltwerden, sondern Handeln. Nicht mehr Objekt und Beschwerdeführerin sein, nicht mehr lauern und überlisten, sondern ins Werk setzen, was Männer niemals für Frauen tun werden, weil die grosse Entmutigung ihre Fehlerquote gegenüber Frauen dramatisch erhöht. Wir haben keine Zeit, auf die Erholung der männlichen Objektivität gegenüber Frauen zu warten. Wir haben auch keinen Anlass, immer weiter von den Männern zu fordern, dass sie uns Handlungsvorlagen liefern oder uns gar beim Handeln vertreten. Frauen wissen, warum das so bequem war: Immer waren die Männer schuld, wenn etwas in Frauenkarrieren danebenging.

Die Vorbilder für die neue Souveränität sind in hinreichender Zahl versammelt, in vielen Hautfarben und Ländern: Alphafrauen, die keinen Wert darauf legen, als unbekannte Wesen angestaunt und geschützt zu werden. Alphafrauen, die nicht permanent die Männer in ihrer Umgebung mit Rätseln anstrengen und mit Tricks irritieren. Lesbare Frauen, die berechenbare Partner im Weltgeschehen sein wollen.

Was mit ihrem Auftritt endet, ist nicht nur die Schonzeit, von der beide zu profitieren hofften. Es endet auch der kraftraubende Stress, der ein Erbe des Feminismus ist und für Männer eine ständige Bedrohung, für Frauen eine alltägliche Ablenkung von allem, was sie liefern könnten, wenn sie nicht mehr Gefangene eines Sklavenmythos wären, der den latenten Vorwurf an alles, was männlich ist, zur intellektuellen Pflicht macht.

Die neue, unbequeme Botschaft lautet: Frauen müssen es machen, weil Männer es gar nicht können – den Alphaplatz der Frau besetzen, glaubwürdig und mit jener Stärke, die den Männern seit der grossen feministischen Verunsicherung fehlt. Erfolgreiche Kulturen haben dieses doppelte Alphagesicht, das männliche mit weiblichen Zügen mischt. Wie gross die Verluste sind, die eine Kultur erleidet, wenn der männliche Blick jede Diagnose und jede Entscheidung dominiert, zeigt die Geschichte der Industriekultur. Die Bruchlandung der Wohlstandsgesellschaft trägt eine männliche Handschrift. Frauen gaben sich lustvoll ahnungslos. Sie griffen zu Doppelrollen, die nur Frauen sich gestatten: Konsumentinnen und Querulantinnen zugleich, waren sie immer Verbündete und Anklägerinnen des Kapitals. Diese schillernden Rollenspiele aufzugeben, fällt schwer.

Aber es lohnt sich, die Lust der Abhängigkeit gegen den Triumph der Spielführerin einzutauschen. Der historische Augenblick ist so günstig wie nie: Die Männer entdecken die Grenzen ihrer Macht als Weltenlenker in Wirtschaft und Politik, und die Frauen setzen den Fuss in männliches Gelände, ohne die Männer weiter einzuschüchtern. Teile deine Arbeit mit mir, sagt ihr Auftritt. Teile auch meine Arbeit mit mir. Lass uns teilen und gemeinsam herrschen, wo wir einzeln gescheitert sind.

Nach dem Feminismus können nur Frauen diese Sätze sprechen. Männer suchen noch nach den richtigen Worten. Alphafrauen beweisen ohne Imponiergehabe, dass sich für beide, Männer und Frauen, eine neue Freizügigkeit ergibt, die sie nicht kannten. Feminismus war die Zeit der strategischen Geringschätzung der Frauen für Männer – und im Umkehrschluss der Männer für Frauen.

Seit beide einander gegenüberstehen, ist die Rivalität zu Ende. Endlich ist der Mann im Olymp nicht mehr allein. Endlich ändert die schillernde Anklägerin die Botschaft. Sie fragt nicht mehr, ob sie mitspielen darf. Sie verspricht: Mit uns müsst ihr rechnen. Auf uns könnt ihr euch verlassen, wenn ihr Männer begreift, was wir Frauen endlich begriffen haben: Erfolge, die nicht nur Väter, sondern auch Mütter haben, sind zuverlässiger.

Da ist es wieder, das Motto der Rückkehr: berechenbar werden. Für viele Frauen ein grosser Verlust. Ihr Geheimnis, so glauben sie, ihre Unlesbarkeit war Garantin ihrer Macht. Und Ursache der grossen Verstörung, die viele Männer erfasst hat.

Auszug aus «Das Ende der Schonzeit. Alphafrauen an die Macht».
Erscheint im September 2008.

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